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Überleben
Ganz einfach, es geht um die nackte Existenz eines ganzen Gewerbes, um Hunderttausende Jobs.
Der Gründer und seit kurzem Ex-CEO von Uber, der Multimilliardär Travis Kalanick, hat mehrfach unverblümt auf den Punkt gebracht, worum es ihm geht: die Zerstörung des traditionellen, streng regulierten Taxigewerbes. Bei dessen Deregulierung war und ist Uber der globale Vorreiter, aber mittlerweile haben auch andere Appetit bekommen auf möglichst große Stücke vom «Mobilitätskuchen», etwa die deutschen Autokonzerne Daimler und BMW, die über Joint Ventures mit Vermittlungsplattformen, Ride-Sharing-Anbietern oder Mietwagenservices wie Via Van oder Clever Taxi zusammenarbeiten.
In Deutschland hatte Uber es zunächst mit einer rechtlichen Konstruktion versucht, die vereinfacht so zusammen gefasst werden kann: Wir sind doch nur ein – etwas größerer – Anbieter von Mitfahrgelegenheiten. Nachdem dieses Modell von den Gerichten kassiert wurde, weil allzu offensichtlich war, dass es sich hier um gewerbliche Personenbeförderung handelte, versucht Uber es nun als Vermittler von Mietwagenservices. Der Vorteil: ideales Terrain für «Rosinenpickerei».
Es geht um Daseinsvorsorge
Nicht nur Linke werden sich fragen: Sollen wir jetzt die ständischen Privilegien eines verzopften Gewerbes gegen die dynamischere Konkurrenz verteidigen?
Klar: Per App bestellen, mit Kreditkarte zahlen, Möglichkeit des Ride-Sharing (also Fahrtenteilung mit anderen, fremden Fahrgästen) – das ist hip und sexy. Abgesehen davon, dass es all das auch im traditionellen Taxi schon länger gibt: Was ist, wenn ein größeres Auto gebraucht wird, weil der Hund auch mit soll? Tragen die neuen Anbieter der gehbehinderten Oma die Koffer in den 4.Stock? Besorgen sie auch mal dringend benötigte Medikamente aus der Nachtapotheke? Schon mal versucht, ein Rollstuhltaxi per App zu bestellen? Taxifahrer sind keine Samariter, sondern müssen Geld verdienen – der Punkt ist: Die neuen Anbieter wollen keine «schwierigen» Aufträge. Sie wollen nur die, die schnell, beweglich und technikaffin sind und die, die es sich perspektivisch werden leisten können.
Bei allen Abgrenzungsschwierigkeiten gab es bislang ein halbwegs friedliches Nebeneinander von Taxi- und klassischem Mietwagengewerbe. Die neuen Anbieter hingegen bieten taxiidentische Dienstleistungen an, ohne auch nur eine der damit verbundenen Pflichten zu erfüllen.
– Tarifpflicht: Im Taxi richtet sich der Fahrpreis nach einem behördlich festgelegten Tarif, im Mietwagen wird der Preis individuell verhandelt. Eine Wegstrecke, die mit dem Taxi 20 Euro kostet, gibt’s bei «den Neuen» an einem stinknormalen Dienstag vielleicht für 10 Euro, dafür kostet dieselbe Strecke in der Sylvesternacht dann aber vielleicht 150 Euro. Regeln Angebot und Nachfrage den Preis, verlieren auf beiden Seiten die Schwächeren: Bei den Anbietern die angestellten Kutscher und Kleinunternehmer, bei den Kunden die mit schmalem Portemonnaie.
– Beförderungspflicht: Taxen müssen jede Fahrt (egal wie kurz und unlukrativ) durchführen, Mietwagen sind dazu nicht verpflichtet.
– Betriebspflicht: Mit einer ausreichenden Anzahl von Taxikonzessionen, die alle mit einer Mindesteinsatzzeit belegt sind, wird die Verfügbarkeit von Taxen 365 Tage im Jahr auch in Randzonen und -zeiten mehr oder weniger garantiert. Auch das gibt es bei Mietwagen nicht.
Auch der Nachweis der erfolgreichen Ortskundeprüfung («P-Schein») wird von Mietwagenfahrern nicht verlangt. Es gibt doch heute in jedem Handy Navis? Sicher, aber was, wenn die mal nicht funktionieren? Oder bei umfangreichen Sperrungen wegen eines Staatsbesuchs die Neuberechnung der Route nicht klappt?
Und schließlich seit neuestem der Fiskaltaxameter, durch den Taxen absolut «gläsern» geworden sind. In Mietwagen hingegen sind nicht mal Wegstreckenzähler vorgeschrieben – eine Einladung zu Schwarzarbeit und Steuerhinterziehung.
Fassen wir zusammen: Das traditionelle Taxigewerbe ist nicht umsonst offiziell Teil des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Genauso wie verlässliche und bezahlbare Energie- und Trinkwasserversorgung ist auch verlässliche und bezahlbare individuelle Mobilität Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge und muss gegen den Angriff kapitalstarker Großkonzerne verteidigt werden.
Dabei geht es nicht um Privilegien eines Berufsstands, nicht um die Abschottung gegen lästige Konkurrenz, sondern um fairen Wettbewerb mit gleichen Rechten und Pflichten. Dass die zuständigen Aufsichtsbehörden diesem schlicht gesetzwidrigen Treiben mehr oder weniger tatenlos zu sehen und die «neue Mobilität» von der neoliberalen Politik teilweise sogar hofiert und gefördert wird, ist ein Skandal allererster Güte.
Greenwashing
Die neuen Anbieter vermarkten sich geschickt als nicht nur modern, sondern vor allem als ökologisch. Car-Sharing, Ride-Sharing – klingt ja erst mal logisch, dass das Teilen von Autos oder Fahrten den Verkehr und damit die Emissionen reduziert. Das ist beim Car-Sharing zumindest fragwürdig – das Institut für sozial-ökologische Forschung in Freiburg konstatiert in einer Studie «keine positiven Auswirkungen von Car-Sharing auf die Umwelt» und begründet das vor allem damit, dass bei Car-Sharing-Nutzern die Pkw-Neuanschaffungen nicht signifikant zurückgehen.
Beim Ride-Sharing (jedenfalls in der momentan praktizierten «Mietwagenpraxis») ist die Ökobilanz negativ und nicht positiv – der Autoverkehr wird nicht reduziert, sondern erhöht. Eine der wenigen gesetzlichen Pflichten der Mietwagen besteht darin, nach Beendigung einer Fahrt an ihren Betriebssitz zurückzukehren, sofern nicht im Firmensitz (also nicht per Handy oder App im Fahrzeug!) eine neue Bestellung eingeht. Daran halten sich die Fahrer jedoch nicht, aber an die Taxistandplätze dürfen sie nicht, Parkplätze sind (jedenfalls in den Innenstädten) rar – also fahren sie eben im Kreis, bis sie einen neuen Auftrag kriegen.
In den US-Großstädten, in denen Uber und andere Anbieter das traditionelle Taxigewerbe verdrängt und den Markt übernommen haben, hat der Verkehr deutlich zugenommen. Dortige Stadträte warnen ihre europäischen Kollegen vor der Kannibalisierung des ÖPNV durch diese Art von Ride-Sharing: «Einmal genehmigt – keine Kontrolle mehr.» Die Dumpingpreise der neuen Anbieter sorgen für leere Busse und Bahnen und vermehrte Staus.
Welche Aktionsformen?
Taxifahrer sind wie Krankenschwestern oder Feuerwehrleute keine «Mehrwertproduzenten» – uns fehlt also ein direkter ökonomischer Hebel. Mit «Taxistreiks» treffen wir darüber hinaus nicht Uber, sondern unsere Kunden.
Wie also die Vernichtung eines ganzen Gewerbes stoppen? Prozessieren? Durchaus.
Auch Uber musste in Deutschland und Europa schon einige juristische Schlappen hinnehmen.
Der Rodungsstop im Hambacher Forst zeigt, wozu auch bürgerliche Gerichte in der Lage sind, wenn der Druck von unten groß genug ist.
Apropos Druck. Der muss natürlich erhöht werden – insbesondere gegenüber den Entscheidungsträgern. Es ist z.B. ein Skandal, dass ausgerechnet im rot-rot-grün regierten Berlin die «Mobilitätsheuschrecken» nicht etwa behindert, sondern hofiert werden.
Da wir in einer «Mediendemokratie» leben, hat ein Protest, der nicht in den Medien vorkommt, sozusagen gar nicht statt gefunden. Es darf also ruhig mal etwas spektakulärer werden.
Selbstverständlich soll hier nicht zu rechtswidrigen Aktionen aufgerufen werden, aber es könnte doch sein, dass z.B. mitten im Berufsverkehr am Berliner Alexanderplatz 3000 Taxen gleichzeitig wegen eines technischen Defekts liegen bleiben…
Organize!
Klar haben die angestellten Kutscher mit ihren Chefs in diesem Konflikt erst mal ein übergeordnetes gleichgerichtetes Interesse. Aber wir sollten uns nicht zu sehr darauf verlassen, dass sie nicht – sozusagen unter dem stummen Zwang der Verhältnisse – «die Seiten wechseln» und z.B. aus ihrem Taxibetrieb einen «Mietwagenbetrieb» machen. Immerhin gab und gibt es in Berlin einige Taxen, die mit Uber-Außenwerbung durch die Gegend fahren.
Ein Blick nach London zeigt, was Fahrern auch in Deutschland blühen könnte. Natürlich ist dort die Struktur des Taxigewerbes eine ganz andere – es gibt dort schon länger den Konflikt zwischen den weltberühmten «Black Cabs» und der Billigkonkurrenz der «Mini-Cabs». Gerade bei letzteren hat Uber massiv attackiert (2016 waren 25000 Londoner Fahrer bei Uber registriert).
Mittlerweile wird Uber aber selber von noch billigeren «Billigheimern» herausfordert (Taxify, yamuf und das schon erwähnte Via Van). Entsprechend sind die Arbeitsbedingungen. Kündigungen sind ohne Angabe von Gründen jederzeit möglich. Sozialversicherung? Privatsache. Die Unternehmen sind ja keine «Transportdienstleister», sondern nur «Technologiedienstleister», also reine Vermittlungsplattformen.
Von den Londoner Kollegen gibt’s aber auch was zu lernen: Dort entstand mit United Private Hire Drivers (UPHD) erstmals eine eigene kämpferische Gewerkschaft der Billigfahrer. Diese Jungs waren es auch, die die Londoner Tower Bridge besetzt und blockiert haben.
Was heißt das für Deutschland? Vielleicht: Im Uber-Fahrer weniger den «Schmutzkonkurrenten» und mehr den «Kollegen» sehen. Ganz schwierige Sache, weil das Taxigewerbe strukturell entsolidarisiert, denn alle sind gleichzeitig Kollegen und Konkurrenten (um die immer weniger werdenden Fahrgäste). Aber die Alternative lautet: Wir werden einzeln zur «Schlachtbank» geführt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf www.sozonline.de. Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors Michael Schilwa.
Logo des Artikels: "A line of Cabs waiting for customers", location: Barcelona, by oatsy40, Lizenz: CC-BY, aufgenommen am 29. Februar 2012