Die Teilnehmer einer Mahnwache vor einer U-Bahn-Station in Upper Manhattan reagierten dieser Tage wütend, als die Leiterin der Taxi-Aufsichtsbehörde von New York auftauchte. Sie riefen: »Verschwinde!«, forderten Meera Joshi zum Rücktritt auf und schrien: »Wie viele noch? Wie viele noch?«
Die Wut ist groß, seit die Nachricht vom Selbstmord von Fausto Luna die Runde machte, der in ebenjener Station vor einen U-Bahn-Zug gesprungen war. Der 56-Jährige war Chauffeur bei dem Online-Fahrdienstvermittler Uber. Lunas Selbstmord war bereits der siebte unter Berufskraftfahrern in New York City in diesem Jahr. Für die Demonstranten ist dies ein weiterer Beleg für die finanzielle Ausweglosigkeit von immer mehr Taxifahrern und Uber-Chauffeuren, die gar nicht hart und lange genug arbeiten können, um ihre Schulden zu begleichen. Solche Selbstmorde wurden in den vergangenen Monaten auch aus Australien, Indien, Südafrika und Taiwan gemeldet.
Dies ist die Kehrseite der sogenannten Gig Economy, bei der kleine Aufträge über Internetplattformen kurzfristig an unabhängige Freiberufler oder geringfügig Beschäftigte vergeben werden. Ihnen fehlen der Schutz und die Vorteile von Vollzeitbeschäftigung, während Technologieunternehmen große Gewinne erzielen, kritisiert die New York Taxi Workers Alliance, die die Mahnwache organisiert hatte. »Wir bitten euch, eure Herzen für die arbeitenden Männer und Frauen zu öffnen, die verzweifelt sind wegen eines Geschäftsmodells mit niedrigen Löhnen, das von Uber auf der ganzen Welt verbreitet wird«, heißt es in einer Erklärung der Taxigewerkschaft. »Jede Stadt muss einen genaueren Blick darauf werfen, was passiert, wenn man zulässt, dass von der Wall Street unterstützte Unternehmen Milliarden Dollar an Kapital einsetzen, um Arbeiter in ein Gefängnis der Armut zu stecken.«
Die Aufsichtsbehörde von New York City hat nach eigenen Angaben rund 13 000 Lizenzen zum Betrieb der gelben Kulttaxis und rund 18 000 Lizenzen für grüne Taxis erteilt, die in Bezirken außerhalb von Manhattan fahren. Rund 50 000 Fahrer dürfen die gelben Taxis steuern. Uber, Lyft und ähnliche neue Unternehmen beschäftigen darüber hinaus heute rund 100 000 Fahrer, was einer Verdreifachung innerhalb von drei Jahren entspricht. Ihre Zahl ist anders als bei Taxibetrieben bisher nicht beschränkt.
Die Folge ist, dass immer mehr Fahrer um die gleiche Anzahl von Fahrgästen konkurrieren. Dadurch sinken die Einnahmen beträchtlich.
Doch das ist nicht das einzige Problem: Für viele Kleinunternehmer war das begehrte gelbe Taximedaillon eine Art Altersvorsorge. Doch der Preis für die Lizenz ist in den vergangenen Jahren wegen des Überangebots von etwa einer Million auf nur noch 200 000 Dollar gefallen. Viele Taxibesitzer kauften diese Medaillons auf Kredit und steuern wegen der sinkenden Einnahmen nun auf den Konkurs zu. Gleichzeitig verlangen sie von den Fahrern, die ihre Taxis mieten, einen höheren Prozentsatz von ihren Einnahmen.
Das Problem betrifft nicht nur die Fahrer der gelben Taxis. Uber zufolge kann ein New Yorker Fahrer mit der App des Unternehmens bis zu 60 000 Dollar im Jahr verdienen. Das ist mehr als der Durchschnittslohn in den Vereinigten Staaten, aber in New York, wo eine Zweizimmerwohnung im Durchschnitt knapp 4000 Dollar Monatsmiete kostet, nur ein »Almosen«, wie es das unabhängige Finanzportal SmartAsset ausdrückt.
»Ich bin finanziell ruiniert, weil drei Politiker meine Branche und meinen Lebensunterhalt zerstört haben«, schrieb der Livreefahrer Douglas Schifter im Februar in einem Facebook-Post, bevor er sich mit einer Schrotflinte vor dem New Yorker Rathaus das Leben nahm. Shifter bezog sich auf den früheren Bürgermeister Michael Bloomberg, einen der reichsten Männer der USA, das amtierende Stadtoberhaupt Bill DeBlasio, der versprochen hatte, sich für die Armen einzusetzen, und Andrew Cuomo, den Gouverneur des Bundesstaates New York.
Immerhin hat sich seither zumindest etwas bewegt: Im August unterzeichnete DeBlasio ein Gesetz, das die Anzahl der Lizenzen von Chauffeurdiensten für ein Jahr einfriert. Außerdem müssen Uber, Lyft & Co. ihren Fahrern wenigstens den Mindestlohn bezahlen. »Wir ergreifen Sofortmaßnahmen zugunsten von mehr als 100 000 hart arbeitenden New Yorkern, die einen fairen Lohn verdienen, und stoppen die Flut von neuen Autos, die unseren Verkehr zum Stillstand bringen«, sagte DeBlasio. Stadtrat Corey Johnson brachte die Idee eines Fonds ins Spiel, um Fahrern in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu helfen; dies solle aber nicht Unternehmern zugute kommen, die viele Lizenzen besitzen. Zu denen zählt übrigens Donald Trumps berüchtigter Ex-Anwalt Michael Cohen, der 30 Medaillons besitzt.
Wie notwendig solche Hilfen wären, erläuterte Noureddine Afsi, der seit fast 20 Jahren in New York Taxi fährt, im Technikmagazin »Wired«: »Früher arbeitete man neun Stunden und verdiente 200 Dollar.« Heute könne man froh sein, wenn am Ende der Schicht 50 bis 60 Dollar hängen bleiben. ❞
Dieser Text wurde zuerst hier veröffentlicht: Uber in New York: Die Verzweiflung der Taxifahrer (neues-deutschland.de), von John Dyer, 25.10.2018,
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1104230.uber-in-new-york-die-verzweiflung-der-taxifahrer.html , Übernahme mit freundlicher Genehmigung des Autors, es gilt das deutsche Urheberrecht.
Quelle des Artikellogos: "it’s raining" by Baptiste Pons, https://www.flickr.com/photos/bpt/ , Lizenz CC_BY_NC_ND https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/2.0/
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